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Fachkommentar: Stromversorgung in Südbaden

Fachkommentar: Stromversorgung in Südbaden

Ist Windenergie im Südwesten zur Energieversorgung erforderlich? Auf diese und weitere spannende Fragen geht Dr. rer. nat. Martin Dölberg in seinem Fachbeitrag ein. 

Stand Juni 2021

Zusammenfassung

Im Hochrheingebiet einschließlich Landkreis Konstanz liegt der Anteil erneuerbarer Stromerzeugung (hauptsächlich Wasserkraft vom Rhein) schon heute bei herausragenden 58% und der Anteil fossiler, klimaschädlicher Stromerzeugung bei nur 6%. Dies entspricht dem Schweizer Strom-Mix, da unsere Region aus historischen Gründen eine Netzeinheit mit der angrenzenden Schweiz bildet.

Die naturbedingte Wechselhaftigkeit der Windkraft führt schon heute zu einer Kannibalisierung der Wasserkraft: Bei Starkwindereignissen reduziert zum Ausgleich das moderne Wasserkraftwerk in Rheinfelden seine Leistung „um bis zu 50%“ (Zitat Energiedienst der EnBW) – das Rheinwasser fließt ungenutzt ab, grundlastfähige erneuerbare Energie wird durch nicht grundlastfähige Windkraft kannibalisiert.

Auch Teile der Windkraftanlagen werden dabei stillgelegt um die Netzfrequenz halbwegs stabil zu halten. Etwa 40% regelbare Kraftwerke müssen aus Stabilitätsgründen am Netz bleiben. Das führt teilweise zu horrender Überproduktion mit negativen Strompreisen. So z.B. am 12.06.2021: bei einer Netzlast von 63 GW sind in der Summe 79 GW erzeugt worden, also eine Überproduktion von 16 GW.

Begründung

Die Frage nach Zweck und Ziel der sog. Energiewende beantwortet zumindest teilweise das Erneuerbare-Energien-Gesetz § 1 Absatz 1: „Zweck dieses Gesetzes ist es, insbesondere im Interesse des Klima- und Umweltschutzes eine nachhaltige Entwicklung der Energieversorgung zu ermöglichen, die volkswirtschaftlichen Kosten der Energieversorgung auch durch die Einbeziehung langfristiger externer Effekte zu verringern, fossile Energieressourcen zu schonen und die Weiterentwicklung von Technologien zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien zu fördern.“

Zentraler Begriff ist also die Energieversorgung und nicht die bloße Energieerzeugung.

Zur Klärung der Frage, ob Windenergie im Südwesten zur Energieversorgung erforderlich ist, muss zunächst der Status quo analysiert werden. Die folgenden Abschnitte beruhen – sofern keine anderen Quellen angegeben sind – auf dem Fachwissen von Herrn Werner Adrion, Löffingen, Leiter der Netzleitstelle Donaueschingen (Energiedienst der EnBW) a.D.

Der Südwesten wird im Folgenden verstanden als die real bestehende Netz-Versorgungseinheit, die seit über 100 Jahren im Dreiländereck zwischen Deutschland, Frankreich und der Schweiz besteht. Geographisch ist dies der Raum zwischen Oberrhein und Bodensee sowie zwischen Hochrhein und dem Schwarzwald auf der Höhe von Villingen-Schwenningen. Der bereits um die Jahrhundertwende vom 19./20. Jh. in seinen Grundzügen angelegte Kraftwerkspark und das nach und nach erweiterte Versorgungsnetz ist das Rückgrat der Stromversorgung im Dreiländereck und blieb über alle Wirren und Kriege des 20. Jahrhunderts bestehen.

Der Südwesten besteht aus den Versorgungsbereichen Hochrhein und Oberrhein. Der Netzbereich Hochrhein einschließlich Badischem Bodensee / Hegau wird über die sog. Hochrheinschiene versorgt. Teilbereiche am Hochrhein (Höri, Stühlingen bis Hohentengen) werden komplett aus dem Schweizer Netz versorgt und haben keine geschaltete Mittelspannungsverbindung zum 20 kV Netz in Deutschland.

Zur Kraftwerkssituation ist festzustellen, dass sich südlich der Linie Karlsruhe-Stuttgart schon heute kein einziges fossiles Großkraftwerk befindet. Südlich dieser Linie befinden sich Laufwasserkraftwerke, die Speicherkraftwerke der Schluchseewerke und zwei Kernkraftwerke.

Der Südwesten bezieht seit Beginn der elektrischen Stromversorgung vor rund 110 Jahren CO2- freien Strom aus Wasserkraft vom Hochrhein und seit dem Bau des Rhein-Seitenkanals auch vom Oberrhein. Wasserkraft gilt als die sauberste aller regenerativen Energien und besitzt im Gegensatz zu Wind- und Solarenergie Regel- und Grundlastfähigkeit, steht also nahezu konstant zur Verfügung.

Am Oberrhein (Kanal) zwischen Kembs und Iffezheim sind ca. 1.474 MW französische Laufwasserkraftwerke installiert. Im Versailler Vertrag wurde Deutschland für die Rheinverlegung (Kanal) die halbe Vergütung aus diesen Kanalkraftwerken zugestanden. Auf diese Vergütung wurde dann später durch die Einrichtung der sog. Schlingenlösungen im Altrheinbestand verzichtet (Hafen Breisach etc.).

Im Bereich des Hochrheins zwischen Schaffhausen und Birsfelden sind Laufwasser- Grenzkraftwerke mit einer Ausbauleistung von insgesamt ca. 800 MW installiert.

Im Ergebnis sind am Hoch- und Oberrhein 2.274 MW (nämlich 800 MW plus 1.474 MW) an regenerativer Generatorenleistung allein aus Rheinwasser für uns im Südwesten wirksam. Dazu kommen noch die Speicherkraftwerke der Schluchseewerke mit rund 1.300 MW (dort sind natürliche Zuflüsse vorhanden, die sich vom südöstlichen Teil des Feldberges und teilweise aus dem Titisee speisen). Zu erwähnen ist außerdem das Kernkraftwerke Leibstadt (CH) mit 1.200 MW.

Dieser Generatorenleistung der Kraftwerke steht ein geschätzter Leistungsbedarf (Stromverbrauch) der Hochrheinversorgung von 700 MW und der Oberrheinversorgung von 800 MW gegenüber, in Summe also etwa 1.500 MW.

Für den Bereich Oberrhein und Hochrhein ist also im Grundsatz schon heute von einer sehr guten Versorgung mit CO2-freier, grundlastfähiger und regelbarer Energie allein aus Wasserkraft auszugehen. Dies ist konsistent mit den offiziellen Angaben einiger regionaler Stromversorger zu ihrem derzeitigen Anteil erneuerbarer Energie (ganz überwiegend aus Wasserkraft): Badenova 82,5%, Stadtwerke Müllheim/Staufen 100%, Stadtwerke Konstanz 100%, Energiedienst im Tarif Naturenergie 100%, im Tarif Allgemeinstrom immerhin 67%. Sogar für den Bereich der Industrie, im «Billigsttarifbereich», sind 48% aus regenerativen Energien ausgewiesen.

Maßgebliche Grundlage für die Versorgung ist nicht der monetäre, sondern der physikalische Stromfluss. Über die Hochrheinschiene fließt vorwiegend die sog. „Schweizer Quote“, d.h. der in der Schweiz erzeugte Strom-Mix (rund 58% Wasserkraftwerke, 36% Kernenergie und 6% konventionelle fossile Kraftwerke). Ausschließlich gemäß der „Schweizer Quote“ versorgt werden Hochschwarzwald-Baar, Hochrheingebiet, Markgräflerland und Badischer Bodensee / Hegau / teilweise der Landkreis Konstanz (u.a. Tengen, Engen und Radolfzell).

Dieser so beschriebene Strom-Mix am Hochrhein hat damit fossile Anteile in Höhe von nur 6%. Hieraus – und gemeint ist ausschließlich hieraus – würden sich dann die theoretisch möglichen CO2-Einsparpotentiale errechnen. Soweit es um den Bau von Windkraftanlagen in Waldgebieten geht, sind allerdings die Verluste an bewaldeten Flächen gegenzurechnen. Eine wesentliche Funktion des Waldes in diesem Zusammenhang ist bekanntlich die, dass er eine äußerst wertvolle Kohlenstoffsenke darstellt. CO2-Emissionen aufgrund der Produktion, Errichtung, Unterhaltung und späteren Entsorgung von Windkraftanlagen sind ebenfalls gegenzurechnen.

Energieversorgung in unserem hochindustrialisierten Land bedingt, dass sozusagen zu jeder Sekunde im Netz ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Erzeugung und Verbrauch aufrechterhalten wird. Dazu dient die sog. Sollfrequenz von 50 Hz. Schwankungen müssen ausgeglichen werden.

Ebenso wie die Solar- ist auch die Windenergie in höchstem Maße volatil. Sie allein eignet sich daher nicht dazu, einen Beitrag zur Versorgungssicherheit zu leisten. Der installierten Nennleistung nach müsste der bundesweite Strombedarf allein durch Windenergie gedeckt werden können. Tatsächlich dümpelt die produzierte Leistung über Stunden, Tage, ja Wochen im niedrigen einstelligen Prozentbereich der installierten Nennleistung. Hierzu nur ein Beispiel aus dem Südwesten: Die neue Windkraftanlage E101 in Weissmoos bei Emmendingen erzeugte innerhalb der ersten 79 Tage des Jahres 2015 an 59 Tagen weniger als 50% und an 37 Tagen sogar weniger als 10% der vorgesehenen Nennleistung (https://swe-emmendingen.de/umwelt-projekte/buerger-wind-projekt/). Das entspricht auch den von TransnetBW veröffentlichten Daten, nach denen die stark schwankenden Einspeiseleistungen der Windkraftanlagen zur Versorgungssicherheit in Baden-Württemberg keinen tatsächlichen Beitrag leisten können (http://www.transnetbw.de/de/kennzahlen/erneuerbare-energien/windenergie).

Beim aktuellen Ausbauzustand der Windkraftanlagen im Südwesten ist bereits heute feststellbar, dass die verursachten volatilen und unkoordinierten Einspeisungen aus der Windenergie die Wasserkraft kannibalisieren. In Abhängigkeit von den volatilen Einspeisungen drosselt inzwischen der Energiedienst das modernste Wasserkraftwerk Europas in Rheinfelden in seiner Leistung in der Spitze „um bis zu 50%“ (Zitat aus Energiedienst EnBW Kundenzeitschrift „NaturKunde“ 1/2015, Seite 9: https://www.naturenergie.de/fileadmin/energiedienst/Dokumente/Unser_Plus/NaturKunde/2015_ 01_NaturKunde.pdf). Das Rheinwasser fließt ungenutzt ab – grundlastfähige erneuerbare Energie wird durch nicht grundlastfähige Windkraft kannibalisiert. Das ist paradox und zeigt, dass in unserer Region die Windenergie für eine sichere Versorgung mit erneuerbarer Energie nicht erforderlich ist.

Hinzu kommt, dass Deutschland schon heute viel mehr Strom erzeugt als es verbraucht. Daher exportiert Deutschland fast permanent große Strommengen in die Schweiz und weiter nach Italien (siehe aktuelle, minutengenaue Grafik unter https://www.swissgrid.ch/swissgrid/de/home.html/).

Solange die Erzeugung von Strom durch Windkraftanlagen nicht durch adäquate Speicher ergänzt werden kann, machen derartige Anlagen im Südwesten keinerlei Sinn. Adäquate Speichertechnologie steht jedoch auf unabsehbare Zeit weder konzeptionell noch physisch zur Verfügung.

 

Quelle: Dr. rer. nat. Martin Dölberg, Fachbeirat (ViSdP) des Forums Hegau-Bodensee

Werner Adrion, Löffingen, Leiter der Netzleitstelle Donaueschingen (Energiedienst, EnBW) a.D. Juni 2021

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